Applaus von der falschen Seite
Die Hashtags #allesdichtmachen , #lockdownfürimmer und #niewiederaufmachen sind mittlerweile jedem bekannt. Die anfangs noch 53 Video-Statements der Schauspieler sorgten für viel Gesprächsstoff im Land. Eine orchestrierte Kampagne, die satirisch die Corona-Maßnahmen ins Visier nimmt, aber letztendlich nur einen weiteren Beweis erbracht hat, dass die Diskussionskultur in Deutschland ausbaufähig ist, diplomatisch ausgedrückt. In diesem Zusammenhang sprach Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot sehr treffend von einer verminten Diskussion. Sind die eigenen Kritikpunkte relativ deckungsgleich mit denen von einer unliebsamen Gruppierung, verliert die Kritik ihre Berechtigung und ein konstruktiver Diskurs wird nahezu unmöglich. Wie im hier besprochenen Beispiel gut zu erkennen, wird der Fokus nicht auf die eigentliche Sache gelegt. Oberflächlich und schnell wird geurteilt, ohne sich dem Sachverhalt genauer anzunehmen.
Prinzipiell wurden alle Beteiligten der Kampagne über einen Kamm geschert. Die thematische Nähe zu den „falschen“ Gruppen wurde allen gleichermaßen zum Verhängnis. Völlig außer Acht gelassen wird die Tatsache, dass jeder ganz individuelle Beweggründe für eine Teilnahme gehabt haben könnte und trotz projektbezogener Geschlossenheit, unterschiedliche Meinungen vorhanden sein könnten. Einer ist vielleicht tatsächlich Sympathisant der AfD und ein anderer wiederum knallharter Gegner dieser Partei. Eine findet alle Maßnahmen absurd, die andere kritisiert nur Kleinigkeiten. Am Ende reden wir hier von einem losen Zusammenschluss von unterschiedlichen Menschen mit einem kleinen gemeinsamen Nenner. Nicht mehr und nicht weniger.
Wenn die Meinung dem Druck nicht standhält
Die Freude, dass sich auch endlich mal namhafte Personen medienwirksam zusammenschließen und Kritik äußern, war leider nicht von Dauer. Vereinzelt zogen Schauspieler ihre Beiträge zurück und erklärten ihren Sinneswandel.
Beispielsweise äußerte sich „Tatort“-Schauspielerin Ulrike Folkerts wie folgt:
„Ich habe einen Fehler gemacht, ich war naiv genug zu glauben, mit meinen Kollegen*innen ein gewinnbringendes Gespräch in Gang zu bringen.“
Weiter schrieb sie:
„Die Maßnahmen sind absolut richtig und der einzige Weg, die Zahlen der Neuinfizierten und Todesfälle in den Griff zu bekommen.“
An dieser Stelle wird es merkwürdig, da widersprüchlich. Wenn die Maßnahmen in ihren Augen absolut richtig sind, was für ein gewinnbringendes Gespräch wollte sie dann in Gang bringen? Hier riecht es stark nach Opportunismus. Hat hier also jemand einfach nur seinen eigenen Fehler erkannt oder war eher der Gegenwind der Grund für die rasche Meinungsänderung, der Grund, weshalb ein Fehler erst entstanden ist?
Schauspiel-Kollege Kostja Ullmann erklärte auf Instagram:
„Aber ich teile in keinem Fall den Zynismus und will nicht den Beifall von Querdenkern, Anhängern der AfD, Reichsbürgern und anderen Corona-Leugnern.“
Mit dieser Einstellung sollte es Herrn Ullmann auch untersagt sein schönes Wetter gut zu finden. Immerhin werden alle oben genannten Personengruppen seine Meinung in der Sache teilen. Spaß beiseite. Natürlich ist die Sache im politischen Kontext zu sehen.
Was jedoch an seiner Aussage noch stört, ist die Behauptung, alle Querdenker und alle AfD-Anhänger wären Corona-Leugner. Dieses Narrativ zu bedienen ist einfach und falsch zugleich. Zu behaupten die SPD stehe für soziale Politik und die CDU für christliche Werte, wäre im gleichen Maße falsch.
Als kleine Randnotiz möchte ich betonen, dass ich keinerlei Sympathien für die AfD empfinde. Ebenso wenig wie für die beiden anderen Parteien.
Zu einer Aussage möchte ich gern noch ein paar Worte verlieren.
Heike Makatsch schrieb zu ihrem Rückzieher:
„Wenn ich damit rechten Demagogen in die Hände gespielt habe, so bereue ich das zutiefst.“
Ok. Muss man sich deswegen von der eigenen Meinung distanzieren? Kann Frau Makatsch nicht ihre Meinung bekräftigen und sich gleichzeitig von rechten Demagogen distanzieren? Ist es unmöglich in der einen Sache einer Meinung zu sein und in allen anderen Themengebieten grundverschieden?
Das eine schließt das andere nicht aus
Rechte querdenkende Demagogen hin oder her. Auch aus dem dümmsten Mund kann ein wahres Argument kommen. Wieso wird also ausgeschlossen, dass die Mitte der Gesellschaft MAL einer Meinung mit einer unbeliebten Minderheit sein kann? Ist man deswegen gleich rechts? Gehört da nicht eigentlich etwas mehr dazu?
Es wäre schlimm, wenn man seine Meinung nicht ändern könnte. Das Leben ist ein Prozess und meine Einstellung, meine Ansicht auf die Welt, kann sich von heute auf morgen diametral ändern. Das ist menschlich und das ist gut so.
Es wäre schlimm, wenn man keine Fehler machen dürfte, wenn man nicht aus ihnen lernen würde. In oben genannten Beispielen kommt aber der Verdacht auf, dass man einer kritischen Masse nachgegeben hat und dass der Fehler von dieser erst zum Fehler hochstilisiert wurde. Die Meinung wurde nicht aus eigener Überzeugung geändert, sondern auf Druck von außen. Wie Fähnchen im Wind haben besagte Personen versucht ihre eigene Haut zu retten.
Wichtig wäre gewesen, dass mit der Kritik an den Corona-Maßnahmen sachlich umgegangen wird. Stattdessen wurde jede Diskussion dazu frühzeitig im Keim erstickt, nur weil die „falschen“ Leute ähnlich denken. Diese Art und Weise der Diskursunterdrückung kann eine wirksame Waffe für die Zukunft sein. In meinen Augen eine große Gefahr.
Ein großes Problem in unserer Gesellschaft ist das Schwarz-Weiß-Denken, indem es nur 0 oder 1 gibt. Das Leben jedoch hat Grautöne, es hat viele Stellen nach dem Komma. Mann und Frau sind sich sehr ähnlich und gleichzeitig sind sie auch so verschieden. Man kann eine Sache gut finden, ohne dass die andere automatisch schlecht ist. Ich kann eine Aussage eines Menschen super finden, auch wenn ich die Person an sich vielleicht nicht mag und wir auch sonst keinerlei Parallelen haben. Ich kann Taten eines geliebten Menschen stark kritisieren, ohne dass das Verhältnis zu der Person darunter leidet.
Wir als Gesellschafft denken leider noch viel zu oft eindimensional. Das Leben ist jedoch durch Vielfalt gekennzeichnet.
30. April 2021
Gesellschaftskritik