Meinungsfreiheit in Deutschland – Theorie vs. Praxis
Oft im Leben unterscheidet sich die Realität stark von der Vorstellung. So auch im Falle der Meinungsfreiheit in Deutschland.
Die Meinungsfreiheit ist der Stolz einer jeden Demokratie des „Westens“.
Gern zeigen wir mit dem moralischen Finger auf Staaten wie beispielsweise Nordkorea, China oder Russland, weil da augenscheinlich andere Verhältnisse herrschen als bei uns. Die Beanstandung der dortigen Missverhältnisse ist oft begründet. In einigen Ländern dieser Welt lebt man sehr gefährlich, äußert man Kritik am jeweiligen Regime oder teilt man Meinungen, die nicht der gesellschaftlichen Mehrheit entsprechen. Es drohen Gefängnisstrafen, körperliche Traktierung oder im schlimmsten Falle sogar der Tod.
Im Vergleich zu solch extremen Beispielen leben wir tatsächlich in einem gefühlten Paradies der freien Meinungsäußerung. So die Theorie. Wie die Praxis in Deutschland aussieht, wie Meinungsfreiheit hier funktioniert, wurde jetzt am Fall Michael Wendler deutlich.
Die Person Michael Wendler ist seit Jahr und Tag umstritten. Prozentual gesehen, so mein Gefühl, gibt es wohl mehr Menschen die ihn in der Vergangenheit belächelt haben, als Leute die ihm positiv gegenüber standen oder gar Fans von ihm waren bzw. sind. Auch ich zähle mich eher zur belächelnden und Augen verdrehenden Kategorie. Nicht nur einmal hat „Der Wendler“ erfolgreich für Shitstorms gegen sich selbst gesorgt und diese auch immer wieder überstanden. Nun ein neuer negativer Höhepunkt.
Im Erklärungsvideo zu seinem Aus in der DSDS-Jury spricht er u.a. von einer „angeblichen“ Pandemie und in diesem Zusammenhang von „groben und schweren Verstößen“ der Bundesregierung gegen das Grundgesetz. Weiter sprach er von Zensur auf Plattformen wie Facebook, YouTube etc. und verwies auf seinen neuen Telegram-Kanal, da man dort zensurfrei Meinungen äußern könne.
Was folgte war bzw. ist eine mediale Hetzjagd. Die Mainstream-Presse sprach einhellig von wirren, irren und kruden Theorien. Der Rapper Bushido reagierte auf Instagram mit einem „Aluhut“ Spruch. Dieter Bohlen machte sich in einem Statement mit „Verschwörung“ und „die Welt ist ne Scheibe“ Aussagen lustig. Sein (Ex-)Manager behauptete live im TV Michael Wendler sei krank. Werbedeals wurden gecancelt und viele Geschäftspartner distanzierten sich sofort von den Aussagen bzw. der Person Wendler.
Dass man über den Inhalt seiner getätigten Aussagen streiten kann ist völlig klar. Nicht alles ist wertvoll gewesen, aber er hat am Ende des Tages auch nichts Verbotenes von sich gegeben. Ist es also gerechtfertigt, dass ein Mensch der einfach seine Meinung geäußert hat -ob werthaltig oder nicht sei dahingestellt- seine Jobs verliert und medial geächtet wird?
Hat sich Michael Wendler gesetzeswidrig verhalten? Hat er Menschen bedroht oder beraubt?
In Deutschland funktioniert Meinungsfreiheit so, dass ein Michael Wendler ab jetzt selbst mit dem Verweis auf einen strahlend blauen Himmel an einem heißen Sommertag, nicht mehr für voll genommen wird und als unzurechnungsfähig gilt, egal was er von sich gibt. Der Stempel ist drauf und schon getrocknet.
Wo bleibt der Dialog? Wieso wird einem Michael Wendler nicht die Möglichkeit gegeben sich genauer zu erklären? Warum fragt keiner konkret nach, wie er zu seiner Meinung gekommen ist? Die Sache hätte viel Potenzial für eine lebhafte Diskussion. Statt den Kontakt zu suchen, wird er von nun an sozial ausgegrenzt.
Um den Leuten die der felsenfesten Überzeugung sind, dass wir eine Meinungsfreiheit haben, den Wind aus den Segeln zu nehmen…Natürlich sind wir in Deutschland fortschrittlicher als anderswo, denn in anderen Gebieten der Erde hätte ein Wendler womöglich davon abgesehen seine Meinung öffentlich zu äußern.
Aber sind wir hier wirklich so frei wie wir denken? Hat nicht jeder schon eine Situation erlebt, in der man geschwiegen hat, des Friedens Willen? Aus Angst vor möglichen Reaktionen? Es gibt diverse Themen die nicht so offen besprochen werden können wie es eigentlich nötig wäre.
Aber was soll der Nachbar denken wenn ich dieses oder jenes sage? Oder die Kollegen auf Arbeit? Wenn ich mir diese oder ähnliche Fragen stelle, verschwindet die Freiheit und damit auch ein großes Stück Demokratie.
Jeder kann angeblich sagen was er denkt.
Diese angebliche Freiheit ist jedoch nicht gegeben, weil man am Fall Wendler sieht, welche Konsequenzen drohen. Deswegen überlegt man erst ob man zu bestimmten Themen seine von der Mehrheit abweichende Meinung äußert.
Man muss nicht die Meinung von Michael Wendler teilen. Im Gegenteil, man kann sie kritisieren und schlecht finden. Der Umgang mit Andersdenkenden in diesem Land ist aber nicht erst seit heute mehr als fragwürdig, ja fast schon grenzwertig. Nicht wenige werden durch die aktuellen Geschehnisse noch mehr verunsichert und schweigen lieber, statt ein Risiko einzugehen. Wer möchte schon gern die Sau sein die durch das Dorf getrieben wird?
Wir können froh und dankbar sein, dass wir nicht solche Zustände wie in Nordkorea etc. haben. Aber wir sind trotzdem weit von dem entfernt, was man unter absoluter Meinungsfreiheit verstehen kann. Die Frage ist, interpretieren wir Meinungsfreiheit falsch oder machen wir uns was vor?
Zum Abschluss möchte ich an die tollen Worte des französischen Philosophen Voltaire erinnern:
„Ich mag verdammen was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“
11. Oktober 2020
Gesellschaftskritik