Warum bekommen wir Kinder?

Die Frage mag verwirren, fallen doch sicher jedem gute und ehrenwerte Gründe ein.
Aber gibt es vielleicht auch Menschen, deren Kinderwunsch ursprünglich aus persönlichen Defiziten resultiert? Beispielsweise um eine Familie zu haben, die man selbst nie hatte oder weil ein Kind zu bekommen „einfach zum Leben dazugehört“? Wie ehrlich ist ein Kinderwunsch in unserer Gesellschaft?

  • „Kinder sind unsere Zukunft!“, „Das Wichtigste sind unsere Kinder!“

Diese und ähnliche Aussagen sollten jedem bekannt vorkommen, wurden sie doch sicherlich auch von jedem schon mal gedacht oder gar geäußert. Aber leben wir sie auch? Oder sind es bloß leere Worte die wir nutzen, weil wir unterbewusst wissen, dass ein normaler Mensch so denken muss?

Betrachten wir kurz den Weg, den wir „gemeinsam“ mit unseren Kindern gehen bzw. den sie alleine gehen.
Entgegen den Erkenntnissen der Entwicklungsforschung geben wir Kinder größtenteils schon deutlich vor dem 3. Lebensjahr in die Fremdbetreuung. Offiziell natürlich um bestmögliche Voraussetzungen für eine angemessene Weiterentwicklung zu schaffen und natürlich um das Sozialverhalten zu fördern. Dass Eltern arbeiten gehen sollen ist selbstverständlich nicht der Hauptgrund.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt, wo Tagesmutter oder Erzieher in der Kita Elternersatz spielen, beginnt die Abhärtung. Von da an lernt das Kind, was es bedeutet einer von vielen zu sein, sich zu fügen und seine Bedürfnisse hinten anzustellen. Jetzt ist es Teil einer Gruppe von 12 weiteren Individuen, alle zusammen betreut von EINEM Experten. Kann aber eine Person allein so vielen Kindern gerecht werden? Ob der Begriff Experte in diesem Zusammenhang gerechtfertigt ist oder nicht, sei mal dahingestellt. Aber ist das gut für ein Kind, gerade in den jungen Jahren? Ist das was wir den Kindern geben bzw. nicht geben und vorenthalten das was sie brauchen? Uns wird kollektiv von allen Seiten suggeriert, dass Erzieher – Experten ihres Gebietes – mindestens genauso, wenn nicht sogar besser wissen als die Eltern wie mit den Bedürfnissen der Kinder umgegangen werden muss.

Als ob diese ersten Lebensjahre nicht schon toll genug waren, geht es nun weiter in der Schule. Wieder hat sich ein Kind für Stunden in einer fremden und jetzt noch leistungsorientierten Umgebung zu fügen. Ähnliches Prinzip wie in der Kita. Eine erwachsene Person spielt den Alleinunterhalter für eine Gruppe voller Kinder, deren Interessen und Bedürfnisse wenig bis keine Rolle spielen. Kann dieser Experte, in diesem Fall der Lehrer, in einem zeitlich und thematisch strikt eingegrenzten Rahmen seiner eigentlichen Funktion gerecht werden? Sieht so Förderung aus? Könnten wir uns einen perfekten Ort ausdenken, an dem sich junge Menschen individuell entfalten, entwickeln und sich bilden, würde er so aussehen wie die Schulen die wir kennen? Ich habe große Zweifel…

Man stelle sich mal vor, ein Kind wird kitafrei groß und später nicht etwa von Lehrern, sondern von den eigenen Eltern unterrichtet. Man stellt sich jetzt mal noch die großen Augen, das Kopfschütteln und das Unverständnis der Leute vor, denen man so einen Systembruch erklärt. Das Kind muss doch große Defizite haben oder?

Was ist heutzutage die eigentliche Aufgabe der Eltern? Die Arbeit machen ja größtenteils andere und das nicht mal sonderlich gut, oder?
Dieser Beitrag mag zum Teil etwas polemisch wirken. Hier und da ist er vielleicht auch etwas überspitzt geschrieben. Aber steckt im Kern nicht ein Stück Wahrheit?

Zurück zur Eingangsfrage. Warum bekommen wir Kinder? Wie wahrhaftig ist unser Wunsch, wenn die Bereitschaft für die Interessen des eigenen Kindes einzustehen nicht da ist. Wenn wir uns der Arbeit mehr verpflichtet fühlen, als unserem eigen Fleisch und Blut? Wenn wir uns, noch während der Schwangerschaft, eifrig Gedanken darüber machen, welche fremde Person wohl am besten ein Drittel des Tages unser Kind betreut. Mit „fremde Person“ meine ich natürlich Erzieher mit fachlicher Expertise und mit „betreuen“ meine ich liebe- und rücksichtsvoll umsorgen. Was auch sonst?!…

Zeit für ein kleines Fazit.
Den Großteil des Tages sind Kinder nicht bei ihren Eltern. Statt volle Verantwortung zu übernehmen, geben wir sie in die Obhut anderer. In der Hoffnung, dass diese für uns fremden Menschen, die ihr Vertrauen nur durch ihren Status erlangen können, unseren Job besser machen als wir es tun würden.
Uns allen ist scheinbar die Dimension nicht klar, wie groß der Widerspruch ist, in dem was wir bezüglich Kindern sagen und denken und wie wir dann tatsächlich handeln.

30. November 2020 Gesellschaftskritik