Wie Demokratie, nur anders
Nicht erst seit der neuen Bewertung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, steht die Demokratie in Deutschland auf dem Prüfstand. Sie verliert mehr und mehr von ihrer Souveränität und das nicht wegen scheinbaren Feinden, sondern wegen ihrer eigenen Hüter
Reality-Check
Wohl kein anderes Wort wird derzeit häufiger im politischen Kontext verwendet, als Demokratie. Wird uns doch stets der Eindruck vermittelt, es gebe die Demokratie, so wird bei genauerem Hinsehen deutlich, dass weltweit und auch mit historischem Blick, verschiedenste Interpretationen existieren. Die Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika, ist eine andere, als die in der Schweiz. In der Schweiz hingegen, lebt man Demokratie ganz anders als hier in Deutschland.
Für diesen Beitrag möchte ich aber den Fokus ausschließlich auf Deutschland legen. Schenkt man den Kommentarspalten der (a)sozialen Medien etwas Aufmerksamkeit, wird deutlich, dass vermehrt der Vorwurf auftaucht, in Deutschland existiere keine Demokratie mehr. Diese Ansicht teile ich nicht, wenngleich so eine Aussage einen gewissen Wahrheitsgehalt hat. Natürlich leben wir in einer Demokratie – die Frage ist nur, wie viel diese Demokratie mit dem gemein hat, was wir eigentlich unter dem Begriff verstehen bzw. was man uns zu verstehen geben möchte. Unser aller Verständnis von Demokratie ist nicht deckungsgleich mit der täglich gelebten Realität. Der Souverän ist das Volk – rein formell. Nur gibt es kaum Situationen, in denen diese Souveränität zu spüren ist – im Gegenteil, ein kurzer Blick in die jüngere Vergangenheit reicht aus, um den Bluff leicht sichtbar zu machen. Nimmt man nur mal die Themen „Corona“, „Ukraine“, „AfD“ und „Sondervermögen“ unter die Lupe, dann ist klar zu sehen, dass prinzipiell an der Bevölkerung vorbeiregiert wird. Es ist völlig irrelevant wie Meinungsumfragen aussehen oder wie sich eine Partei in der Vergangenheit mal zu einem jeweiligen Thema geäußert hat. In den großen Themengebieten „Kindertagesstätten“, „Schulen“, „Renten“ und „Migration“ das gleiche Spiel. Wo wird Politik für die breite Masse gemacht? Innenpolitisch wie außenpolitisch – wer findet die Nadel im Heuhaufen?
Die letzten Wahlergebnisse und der damit abgebildete Wille des Volkes spiegelt sich auch in der neuen Regierung und deren Vorhaben in keiner Weise wider. Wir haben einen Bundeskanzler Friedrich Merz, der außerhalb der Berliner Polit-Bubble kaum Zuspruch erhält und sogar im Inneren, wie die historische Niederlage im ersten Wahlgang gezeigt hat, keinen hohen Beliebtheitswert genießt. Wir haben eine SPD, die mit einem historisch schlechten Ergebnis eigentlich abgewählt wurde, nun aber trotzdem weiterhin an den Hebeln der Macht sitzt. Auch die CDU steht im Verhältnis nur gut da und konnte als Sieger vom Feld gehen, weil mit Ausnahme der AfD, alle anderen nur noch schlechter waren. Die Politik der Grünen wurde deutlich abgewählt und im Wahlkampf von der CDU massiv durch den Fleischwolf gedreht. Das verhindert aber nicht, dass einige Elemente davon nun im neuen Koalitionsvertrag zu finden sind – und da gehen wir noch nicht mal in die Details und erkennen leicht, die über allem schwebende Widersprüchlichkeit deutscher Demokratie. Logisch, dass in der Bevölkerung eine Unzufriedenheit in einer ungesunden Preisklasse entsteht, die auch gefährlich werden kann.
Kurze Zwischenbilanz: In der Tüte Demokratie ist nicht das drin, was drauf steht.
Wehrhaft oder hilflos
Die Einstufung der gesamten AfD als gesichert rechtsextrem, hätte kaum gegensätzlicher aufgenommen werden können. Das Ausschalten der Opposition mit undemokratischen Mitteln ist für die einen ein Ausweis der Wehrhaftigkeit unserer Demokratie, für die anderen ein Warnsignal. Während bestimmte Bevölkerungsgruppen erfreut triumphieren, gibt es auch kritische Stimmen, die differenziert auf Ungereimtheiten hinweisen. Nüchtern betrachtet muss man sagen, dass die mittlerweile vorläufig einkassierte Einstufung keinen großen Einfluss auf das politische Tagesgeschäft haben wird. Nur jene, die sonst keine Ideen vorweisen können, wie man die AfD politisch stellt, haben nun einen neuen Zauberspruch parat, der am Ende nichts klärt. Das bisher nicht veröffentlichte Gutachten des Verfassungsschutzes ist als weiterer Versuch zu werten, die AfD unwählbar zu machen. Auch wenn die zum damaligen Zeitpunkt in der Verantwortung stehende Bundesinnenministerin Nancy Faeser in ihrem Statement nicht müde wurde darauf hinzuweisen, dass der ihr untergeordnete Verfassungsschutz absolut unabhängig gearbeitet hat, so wirkt die Häufigkeit fast schon verdächtig. „Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat einen klaren gesetzlichen Auftrag gegen Extremismus vorzugehen und unsere Demokratie zu schützen .Und dabei arbeitet es EIGENSTÄNDIG. Die neue Einstufung ist das Ergebnis einer umfassenden und NEUTRALEN Prüfung, die in einem 1.100 seitigen Gutachten festgehalten ist. Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das Gutachten gegeben.“₁
Kann so stimmen, muss aber nicht. Man kann von der AfD halten was man will, sie als gesamte Partei als gesichert rechtsextrem einzustufen, ohne die Beweise vorzulegen, ist vorsichtig gesagt dämlich und naiv. Wo für den einen bei der bloßen Kritik an der Migrationspolitik schon der Rechtsextremismus beginnt, so verortet ein anderer diese Begrifflichkeit eher in Richtung des 2. Weltkrieges. Es gibt keine allgemeingültige Grenze, die erkennbar macht, ab wann man die Schwelle zum Rechtsextremismus übertreten hat. Genau dieser Fakt macht die Notwendigkeit einer transparenten Erklärung klar, wie der Verfassungsschutz zu seiner Einschätzung gekommen ist. Hat man hier also mehr Schaden verursacht, als es einen Nutzen gibt, wenn man die Wählerschaft, die man eigentlich zurückgewinnen will, noch mehr gegen sich aufbringt? Man musste kein Prophet sein um vorherzusagen, wie locker die AfD und ihre Wähler diese Aktion für sich und ihre Argumentation nutzen werden.
Diesen Abschnitt des Beitrages möchte ich mit drei Zitaten beenden, die der Hysterie einiger Leute den Zauber nimmt:
„Die AfD ist […] nicht die NSDAP. Weil wenn sie die NSDAP wäre, dann hätten wir schon längst ein Verbotsverfahren.“, so der Journalist und Autor Martin Debes im Podcast „Ronzheimer“.₂
„Und das was wir mit der AfD machen, ist, im Versuch sie loszuwerden, indem man der Bevölkerung einredet, dass diese Partei ausnahmslos aus Nazis besteht. Entweder aus bekennenden wie Björn Höcke oder aus verkappten Nazis, wie der Rest.“
&
„Das Parteiprogramm der AfD selber enthält nichts verfassungsfeindliches.“
von Richard David Precht.₃
Eine echte Alternative
Wollen wir es weiter Demokratie nennen, wenn der Einfluss des eigentlichen Souveräns verschwindend gering ist, weil er sich im Kern auf ein Kreuz bei einer alle 4 Jahre stattfindenden Wahl beschränkt? Wollen wir es weiter Demokratie nennen, wenn fachfremde Personen, die nicht gewählt wurden, Ministerposten abgreifen? Wollen wir es weiter Demokratie nennen, wenn der Wille des Volkes in der Regel unberücksichtigt bleibt und Lobbyisten und Berater mehr Einfluss haben? Das Problem an sich ist nicht die parlamentarische Demokratie, die Idee davon, sondern die Umsetzung, die Spieler, die dieses Spiel spielen. Das Problem ist auch nicht, dass man seine Meinung ändert oder sich an neue Gegebenheiten anpasst. Das Problem ist die Show, die fehlende Transparenz. Wenn Menschen in Machtpositionen kommen, dann in der Regel nicht aufgrund ihres feinen Charakters. Dass sie in so einer Position sind, zeigt schon zu welchem Schlag Menschen sie gehören.
Entweder brauchen wir einen neuen Begriff oder eine komplett neue Staatsform. Wenn ich über Alternativen zur Demokratie nachdenke, heißt das aber auch nicht, dass ich eine Diktatur oder Monarchie möchte. Aber wir sollten uns nichts mehr vormachen. Wenn wir Demokratie drauf schreiben, muss sie auch drin sein. Der Begriff ist jedoch mittlerweile verwässert und hat wenig mit dem zu tun, was man eigentlich im Kopf hat, wenn man ihn hört. Die stete Heiligsprechung dieser Staatsform basiert ausschließlich auf der Ansicht, dass es nichts Besseres gibt. Am Ende des Tages ist das Marketing. Mit der gleichen Argumentation verkauft ein Müsliriegelhersteller seine Produkte. Der eigentliche Souverän muss ins Machen kommen und sich von der Show distanzieren. Natürlich ist es für viele Menschen auch bequem alle paar Jahre bei einer Wahl seine Stimme abzugeben und den Rest der Zeit nur zu meckern. Wenn wir als Volk wirklich der Souverän sein wollen, dann müssen wir auch für eine faktische Souveränität sorgen oder das Kind umbenennen. Vielleicht entwickelt sich mit der Zeit eine Art der Staatsform, die wir heute noch nicht auf dem Zettel haben, die aber gerechter ist, für mehr Zufriedenheit sorgt und echt ist. Wäre doch besser als wieder Diktatur, oder?
₁ https://www.youtube.com/watch?v=aS0-Z7nwz08
₂ https://www.youtube.com/watch?v=JO7G8NyOID8
₃ https://youtu.be/G6m5xRs-Biw?feature=shared
11. Mai 2025
Politik