Akzeptanz ist (k)eine Einbahnstraße

Mit dem Fall Joshua Kimmich hat Deutschland einen weiteren Beweis erbracht, wie medienwirksam mit Personen umgegangen wird, die eine unpopuläre Meinung vertreten. Im Sky-Interview bezog der deutsche Nationalspieler Stellung zu dem aufgekommenen Gerücht, wonach er ungeimpft sei. Den aufgesetzt kritischen Fragen des Reporters begegnete Kimmich nüchtern und souverän mit ausführlichen Antworten, die seinen Standpunkt deutlich machten. Schnell wurde jedoch klar, dass das kein normales Interview, ohne anschließendes Medienecho war.

Du darfst deine Meinung haben, ABER…

Was dann zu lesen und zu hören war, lässt sich nur schwer ertragen.
Beispielsweise in den Fußball-Talkshows Doppelpass und Sky90 war von einer bröckelnden Fassade eines Vorzeigeprofis die Rede. Kimmich sei naiv und egoistisch. Zwar übten sich alle anwesenden Gäste darin tolerante Menschen zu mimen, forderten aber im gleichen Atemzug mehr Überzeugungsarbeit und mehr Einfluss von u.a. Kimmich´s Arbeitgeber. Die sich ständig wiederholende Warnung keinen Druck aufzubauen, war kaum ernst zu nehmen, folgte man den weiteren Ausführungen der Gäste. Ähnlich werthaltig war die hier und da geäußerte Erinnerung, dass man in einer Demokratie andere Meinungen aushalten muss. Tatsächlich ist jedoch deutlich zu spüren gewesen, dass man Kimmich´s vorläufige Entscheidung nicht akzeptieren möchte. Akzeptiere ich eine Meinung, versuche ich nicht pausenlos eine Veränderung herbeizuführen. Somit existierte ein großer Widerspruch zu dem was sie sagten und dann eine Minute später taten.

Ein Vorbild mit abweichender Meinung ist kein Vorbild

Ein vermeintlicher Fehler ist ausreichend, um als Vorbild nicht mehr anerkannt zu werden. Wobei man hier nicht mal von einem Fehler sprechen kann. Eine in der Öffentlichkeit stehende Person hat lediglich eine vom Mainstream abweichende Meinung. Nicht mehr und nicht weniger. In den Augen vieler hat ein Vorbild scheinbar keine eigene Meinung, sondern die, der Mehrheit.
Ist ein Fußballer automatisch ein Vorbild in allen Lebensbereichen? Kann ein Mensch, egal welchem Beruf er auch nachgeht, dem überhaupt gerecht werden? Will er dem gerecht werden? Möchte Joshua Kimmich vielleicht nur seinen Beruf ausüben und Fußball spielen, ohne ein Vorbild zu sein? Würden wir ihm dies gestatten? Einige Leute sicherlich nicht.
Weitere interessante Fragen: Sollten sich Menschen nicht aus Überzeugung, auf Basis wissenschaftlicher Ergebnisse, für oder gegen eine Impfung entscheiden?
Weshalb erscheint es so normal, wenn sich Menschen impfen lassen weil Fußballer A es getan hat oder Menschen sich nicht impfen lassen weil Fußballer B sich weigert? Wenn die Menschen eine Symbolwirkung eines Sportlers für eine medizinische Angelegenheit benötigen? Die Experten schaffen es nicht zu überzeugen, dann lassen wir die gesellschaftlich hochangesehenen Vorbilder ran. Sollten wir darüber nicht mal genauer nachdenken?

Eine vergiftete Debatte

Die Fronten sind verhärtet, gefühlt eher einseitig. Ein kleines Beispiel gefällig?
Heribert Bruchhagen, ein honoriger ehemaliger Funktionär verschiedener Fußballvereine, beschrieb bei Sky90 kurz seine Probleme im Umgang mit Andersdenkenden. Er erklärte, nicht zu wissen wie man damit umgehen soll, wenn enge Freunde „die Position“, wie die von Kimmich, haben. Man neige dazu innerlich auf Distanz zu gehen.
Kurz sacken lassen.
Herr Bruchhagen ist offensichtlich leider nicht die einzige Person mit solch Gedankengut. Oder möchte jemand behaupten, dass das nur ein Einzelfall ist?

Ein Blick von außen

Lässt man die eigentliche Thematik und das souveräne Auftreten von Joshua Kimmich völlig außer Acht und beobachtet ausschließlich die Reaktionen vieler Leute, kann große Verwirrung entstehen.
Denn zu welcher Einschätzung könnte man ganz leicht kommen? Man könnte vermuten, hier wird öffentlich ein Mensch gegeißelt, der komplett vom rechten Weg abgekommen ist und ohne externe Hilfe keine Chance hat wieder in die Gesellschaft integriert zu werden. Ein Mensch, nachweislich ein geisteskranker, der an Hexen glaubt oder eine schwere und unverzeihliche Straftat begangen hat. Dem man ohne Druck, aber natürlich penetrant, den Quatsch den er da glaubt, austreiben muss.
Wie wir wissen ist das alles falsch. Es geht um eine Impfung.
Welchen Eindruck bekommt man noch? Zum Beispiel, dass Kimmich ohne jegliches Wissen, ohne jegliche Recherche, zu seiner Entscheidung gekommen ist und nur endlich mal mit Experten sprechen muss, die ihn wieder auf den richtigen Weg bringen.

Ein Fußballer, der in der Vergangenheit nie großartig negativ aufgefallen ist und bisher als Vorbild galt, bittet öffentlich um Verständnis und Respekt für seine vorläufige Entscheidung gegen eine Impfung. Das lassen wir so stehen. Aber was sagt alles was danach passiert ist über uns als Gesellschaft aus?

31. Oktober 2021 Gesellschaftskritik