Bindung vor Bildung

Gastbeitrag von Melanie (kleinermensch.net)

In unserer Gesellschaft stehen Lernen, Funktionen und Leistung im Vordergrund. Wir Erwachsenen haben uns mit diesem Druck arrangiert oder spüren uns selbst nicht mehr, sodass wir Überforderungen nicht mehr wahrnehmen und so mancher im Burn-Out landet.
Für uns selber können wir die Verantwortung übernehmen, unsere Kinder sind diesbezüglich auf uns angewiesen.

Lernen ist ein wichtiger Bestandteil im Leben eines jeden Menschen von Geburt an, doch was brauchen wir überhaupt, um Wissen optimal aufzunehmen? Worin liegt der Schlüssel für den Aufbau kognitiver und kreativer Potenziale?

Bindung: Quelle der Sicherheit und Entfaltung

Wir werden als völlig abhängige, hilflose und schutzbedürftige Wesen geboren. Können nicht laufen, nicht sprechen und benötigen feinfühlige Menschen, die uns hegen, pflegen und mit all unseren Bedürfnissen wahr- und ernst nehmen. Wir brauchen eine optimale, liebevolle und prompte Befriedigung unserer Grundbedürfnisse, nach Nahrung, Wärme und Sicherheit. Aufgrund der Qualität dieser Bedürfnisbefriedigung bauen wir ein bestimmtes „Bild“ von der Welt auf. Die Folge einer feinfühligen Betreuung ist ein gesundes Selbstwertgefühl und (Ur-) Vertrauen in uns selbst und in andere – wir entwickeln eine sichere Bindung.

Aus diesem Vertrauen heraus schreiten wir in die große weite Welt, sobald wir anfangen mobil zu werden. Fühlen wir uns sicher, können wir die Welt entdecken, erforschen und mit allen Sinnen begreifen (Exploration). Diese Sicherheit setzt für das Lernen nötige Aufmerksamkeitsressourcen frei, durch die wir vorhandene intellektuelle und kognitive Fähigkeiten voll entfalten und nutzen können. Sicher gebundene Kinder scheuen sich nicht um Hilfe zu bitten, weil sie bisher immer auf Unterstützung zählen konnten und kooperieren deshalb auch besser.

Bei einer unsicheren Bindung ist unser System ständig auf „Alarm“ gesetzt. Wir befinden uns in einem permanenten Anspannungsmodus, der psychische Energie raubt, was einer ausgewogenen Bindungs-Explorations-Balance im Wege steht und so Lernen behindert. Unsicher gebundene Kinder lassen sich leichter ablenken, verhalten sich eher impulsiv und erledigen ihre Aufgaben nicht so sorgfältig. Sie erscheinen insgesamt eher unorganisiert.

Wir brauchen also eine gute und sichere Bindung an feinfühlige Bezugspersonen, um uns der Umwelt zu öffnen, neue Fähigkeiten zu erlernen und Potenziale zu entfalten und das vor allem in den ersten 6 Lebensjahren!

Kinder lernen von sich aus. Ihre intrinsische Motivation bewegt sie jeden Tag und jede Minute dazu, selbstständige und unabhängige Wesen zu werden. Das Einzige, was sie dafür brauchen ist eine sichere emotionale Umgebung, liebevolle Orientierung und den Freiraum, um zu experimentieren.

Bindung und Bildung in Kindergarten und Schule

Es ist wichtig, dass sich Erzieher und Lehrer dieser Dynamik bewusst sind und ihr Bestes geben, um diesen Kindern gerecht zu werden.

Kein leichtes Unterfangen: denn, wie sollen es vor allem Erzieher leisten, sich jedem Kleinkind bestmöglich zuzuwenden, wenn sie nebenbei noch 5 oder mehr andere kleine Kinder betreuen müssen? Die gesellschaftlich so hochgepriesene Frühförderung kann nicht gelingen, wenn viel zu wenig Betreuungspersonal mit viel zu vielen Kindern alleine gelassen wird. Das ist Stress pur für die Kleinsten in unserer Gesellschaft – messbar am Cortisolspiegel. *

Und hier ist der Knackpunkt. Die Politik weiß seit Jahren, was kleine Kinder brauchen, um gut aufwachsen und auch lernen zu können. Doch werden noch weitere Gelder in den Kitaausbau gesteckt. Wir dürfen uns auch weiterhin fragen, warum ca. 1.200 € monatlich lieber in jeden einzelnen Kita-Platz gesteckt werden, anstatt es den Familien zu überlassen, ob sie mit diesem Geld ihre Kinder zu Hause betreuen. Diese Möglichkeit würde für mehr Entspannung bei vielen Eltern sorgen!

Wir Erwachsenen, ob nun Eltern, Erzieher, Lehrer oder Politiker tragen die Verantwortung dafür, wie die Schwächsten in unserer Gesellschaft aufwachsen. Denn Kinder brauchen Empathie, Feinfühligkeit, Verständnis und eine Akzeptanz für ihr ganz individuelles Sein. Sie dürfen dort abgeholt werden, wo sie gerade stehen.

Das wünsche ich mir für jedes Kind, ob es nun familiär, außerhäuslich oder in der Schule betreut wird.

Wenn du spürst, dass die Bindung zwischen dir und deinem Kind etwas Stärkung gebrauchen könnte, dann lege ich dir die Bindungsspiele von der Entwicklungspsychologin Aletha Solter ans Herz. Bindungsspiele erhöhen die Kooperationsbereitschaft deines Kindes, mildern aggressives Verhalten und machen das Familienleben insgesamt harmonischer. Lies hierzu meinen Gastbeitrag auf https://www.milchtropfen.de/9-spiele-konflikte-loesen-und-bindung-staerken

 

Quelle:
*Die dunkle Seite der Kindheit – Frankfurter Allgemeine Zeitung
https://www.fachportal-bildung-und-seelische-gesundheit.de/index.php/faz-artikel-4-april-2012

4. Februar 2021 Gastbeiträge