Nicht der letzte Krieg

Die Geschichte des Nahostkonfliktes ist gewiss nicht schnell erzählt. Umso wichtiger ist es die Historie mit all ihrer Komplexität zu verstehen, möchte man einen Weg zu einer friedlichen Lösung finden. Für diesen Beitrag soll genau diese Geschichte mit ihrem präzisen zeitlichen Ablauf jedoch unberührt bleiben. Denn es ist an dieser Stelle nicht zielführend den Rotstift anzusetzen um zu markieren wer etwas begonnen hat, wer brutaler war, wer mehr Menschen vertrieben und getötet hat. Rechnet man Gräueltaten gegen, kommt man nie an den Punkt 0. Jeder hat seine Argumente, wähnt sich als Opfer und hält sein daraus resultierendes Handeln für legitim. Viele Konfliktparteien haben ihren Anteil an der jetzigen Situation, ohne konkrete Namen nennen zu müssen. Wichtig ist, wie wir mit den Fakten der Vergangenheit umgehen. Wollen wir verstehen? Oder wollen wir nur Argumente FÜR uns und GEGEN den anderen finden? Antworten auf diese Fragen sind nicht nur im Nahostkonflikt von großer Bedeutung.
Festzuhalten ist, dass jede Form von Gewalt zu verurteilen ist.

Fehlende Grautöne

Was die Aufarbeitung des Nahostkonfliktes angeht und wie wir mit dem ganzen Sachverhalt umgehen, so sind von unserer Seite aus Parallelen zum Krieg in der Ukraine zu erkennen. Für uns gibt es nur unseren Partner, den es mit allen Mitteln zu unterstützen gilt, und den Gegner, der alleinige Aggressor. Das Gute und das Böse. Eine Differenzierung ist nicht existent. Wir sind stets auf einem Auge blind. Wir sehen eigene Fehler nicht bzw. blenden sie wissentlich aus. Wir stellen auch nicht die richtigen Fragen bzw. stellen wir gar keine. Wir sehen ausschließlich unsere Perspektive und die unseres Partners. Unsere Interessen sind edel und der Gemeinschaft dienlich, die unseres Gegners hingegen sind illegitim und unmenschlich.
Dass in diesem Nahostkonflikt eine Partei der anderen ohne große Mühe den Zugang zu Wasser und Strom unterbinden kann zeigt, dass hier kein ausgeglichenes Kräfteverhältnis herrscht. Die eine Gräueltat verurteilen wir, die andere wird akzeptiert. Der Böse darf nichts, der Gute darf alles. Der Mainstream begrüßt das öffentliche Zeigen einer Israel-Flagge, hingegen wird das Zeigen einer Palästina-Flagge als Verstoß gesehen. Die eine Flagge steht für ausnahmslos positive Werte, die andere undifferenziert für Judenhass. Die Verfehlungen des Guten werden als Lappalien gewertet, die Vergehen des Bösen werden hervorgehoben. Wie so häufig gehen Regierung und Medien Hand in Hand einen gemeinsamen Weg, verkürzen Sachverhalte, betrachten Konflikte einseitig und beweisen inflationär ihre Doppelstandards. Es wird alles gedreht, wie man es braucht.

Verteidigung oder Rache?

Werden die kriegerischen Handlungen der Israelis in unseren Medien als Verteidigungsmaßnahmen gewertet, klingt das von israelischer Seite nuanciert anders. Da ist von Rache, Trümmerfeldern et cetera die Rede. Israels Präsident Netanjahu sagte beispielsweise: „Was unseren Feinden in den kommenden Tagen angetan wird, wird für Generationen nachhallen.“
Man muss kein besonders begabter Stratege sein um zu erkennen, dass diese Herangehensweise, die nicht den Ansatz hat den Gesamtkonflikt final friedlich zu lösen, lediglich die Saat für zukünftige Terroristen streut. Mit dieser Antwort Israels produziert man neue Konflikte. Wir sprechen also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in 20 Jahren über die gleichen Themen wie heute.

Im Spiegel-Talk Spitzengespräch begrüßte Moderator Markus Feldenkirchen Frau Strack-Zimmermann von der FDP und Publizist Michel Friedman. Der Moderator konfrontierte Herrn Friedman mit der Ankündigung des israelischen Verteidigungsministers Gaza komplett abzuriegeln, sowie u.a. die Wasserversorgung zu unterbrechen. Auf die anschließende Frage, ob das eine richtige Reaktion sei, folgte keine eindeutige Antwort. Das ist erschreckend! Eine Aussage die hängen blieb und treffend analysiert erscheint, lautete folgendermaßen: „Im Prinzip gewinnt man doch im Nahen Osten seit Jahrzehnten immer nur Zeit.“

Die Probleme werden nicht gelöst, sie werden lediglich vor sich hergeschoben. Die oben zitierte Aussage Netanjahus unterstreicht das. Es geht nicht um Konfliktlösung, sondern um Abschreckung, um das in diesem Fall unbegründete Gefühl von Sicherheit. Israel ist im Kollektiv mit seinen Verbündeten eine absolute militärische Übermacht und trotzdem hat das nicht dazu geführt, dass die Gegner sich in Zurückhaltung üben.

Alte Muster

Ein kurzer Ausschnitt eines BILD-Kommentars von Filipp Piatov:
„Deutschland muss Israel unterstützen und den Rücken freihalten, bis die israelische Armee ihre Kriegsziele erreicht hat. Ganz gleich, wie lange es dauert, wie hart der Krieg wird.“

Als interessante Randnotiz ist zu bemerken, dass von verschiedenen Leuten sinngemäß identische Sätze in Bezug auf die Ukraine getätigt worden sind.
Stellen wir uns vor, dass solche Aussagen mit Leben gefüllt werden. Was bedeutet das? Was ist eigentlich das Kriegsziel der Israelis? Die Beseitigung jedes einzelnen Hamas-Mitgliedes? Ist das realistisch? Sollen sich deutsche Soldaten im endlosen Kampf gegen jedes einzelne Mitglied der Hamas beteiligen? Dann gegen die Hisbollah? Dann gegen den Iran? Wo hört das auf? Es ist unklar welches realistische Ziel verfolgt wird. Auch da wieder eine Parallele zum Ukraine-Krieg.
Es gibt immer eine Vorgeschichte und diese müssen wir verstehen. Das Spiel am 7. Oktober ging nicht bei 0:0 los! So unpassend es auch klingen mag, aber es ist lediglich als Metapher zu verstehen. Wir müssen in die Tiefe der Historie gehen. Was hat zu der jetzigen Situation geführt? Der Umgang mit der Geschichte ist von großer Wichtigkeit wenn wir Frieden wollen. Im Nahostkonflikt und auch in vielen anderen Krisengebieten dieser Welt.
Haben wir eine historische Verantwortung gegenüber Israel und den Juden? Ja durchaus. Bedeutet das, dass wir an anderer Stelle weniger Verantwortung haben? Nein! Sie ist an der einen Stelle nur noch mehr begründet.
Stellen wir uns auch in der Zukunft in ausgewählten Konflikten undifferenziert auf eine Seite, ohne den Gesamtsachverhalt zu verstehen und nüchtern zu analysieren, bleibt jeder Konflikt eine unlösbare Aufgabe. Dann wird der aktuelle nicht der letzte Krieg sein.

21. Oktober 2023 Politik